über den zusammenhang von tantramassage als sexarbeit, berührbar werden, liebe und mitwelt.
von sunja.

es gibt tage, da möchte mein innerer kritiker (er hat ein sehr ausgeprägtes organ) mein tun als sexworkerin in frage stellen.
das geht ungefähr so: da kommen also menschen zu dir, und zahlen (ungeachtet ihrer einkommenssituation, merkt er an diesem punkt kritikergänzend an) eine hohe summe, um in den genuß deiner berührungen zu kommen. von dir bespielt zu werden. dein ohr und deinen fokus für die zeit der session zu erhalten. kurz, um es schön zu haben. und? kräht diese renitente stimme in meinem inneren… ist das okay?

im angesicht einer welt die im umbruch begriffen, und ja, vielleicht dabei ist, vor die hunde zu gehen (zumindest was die menschliche spezies anbelangt)… ist das nicht unsagbar dekadent?
ja, manchmal habe ich diese gedanken in mir. an dieser stelle einen dank an meinen inneren kritiker, denn er bringt mich dazu, zu hinterfragen, und meinen überzeugungen auf den grund zu gehen, und nicht einfach nur herumzuschwimmen in meinem leben.

ich komme jetzt mal von einem anderen gedanken her an das thema ran… wenn ich in einer stadt unterwegs bin, in einer shopping mall, hier gibt es viel von dem, was geld kaufen kann. und ich sehe in die gesichter der menschen um mich herum. was sehe ich da? anstrengung, getrieben sein, hektik, masken. das große versprechen von konsum-macht-glücklich geht nicht auf, und viele wissen das eh. dennoch drehen wir an dem großen rad relativ schmerzbefreit weiter. unberührt von den konsequenzen dieser bewegung.

BERÜHRBARKEIT

und an diesem punkt wende ich meinen blick auf mich, und alle, die so arbeiten wie ich! was ich in meiner praxis immer wieder erlebe, ist, dass menschen für den moment der session wieder berührbar werden. im wortsinn ebenso, wie im übertragenen sinn. auf der körperlichen ebene können blockaden berührt, und durch zeit, achtsamkeit und behutsame, langsame bewegungen ins bewusstsein geholt, und auch wieder in bewegung gebracht werden. nicht selten kommen dann auch tränen, und ich werde betraut mit einem teil vom innersten meines gastes / meiner gästin. wenn wir in unserem system einen raum zur verfügung gestellt bekommen, in welchem vertrauen angeboten und angenommen werden kann, dann kann bewusstsein beispielsweise auf altes weh scheinen. und erinnerungen, eigene strukturen und seinsaspekte wieder gefühlt werden.

wir können von ihnen wieder berührt werden.

ich erlebe das als möglichkeit einer größeren öffnung. hin zu einem umfangreicheren berührt-sein-können. in unserem heute bringt vieles uns in eine dumpfheit. wir stumpfen ab, im angesicht von einem infobombardement, dessen inhalte meist negativer und bedrückender natur sind. wir machen dicht, um uns nicht vollends einer hilf- und machtlosigkeit ausgesetzt zu fühlen. es ist zuviel, zu schnell, zu arg.

darin berührbar zu bleiben scheint ein paradoxon. und doch scheint es mir unabdingbar!! mehr noch, es scheint mir ein weg raus zu sein aus dieser globalen krise! nur, wenn ich berührbar bin, geht mich leid etwas an. nur wenn ich berührbar bin, kann ich schönheit und freude in mich hineinlassen, und mich aktivieren, etwas zu ihrem erhalt beizutragen. mehr noch: nur wenn ich berührbar bin, kann ich schönheit und freude als ressourcen greifen, als kraftquell nehmen.

LIEBE ALS SEINS-ZUSTAND

ein zweiter punkt, der unmittelbar daran anschließt, handelt von der liebe.
denn sie ist noch soviel mehr eine quelle von lebenskraft, und wie oft ist der fluß dieser kraft ins stocken geraten, und zum dünnen rinnsal verkommen. ich spreche hier nicht von romantischer liebe, wie sie uns als fragwürdige legende erzählt wird. ich spreche von liebe als seins-zustand, und ich bin überzeugt davon, dass wir als menschen ursprünglich so designed worden sind, dass liebe einer unserer ur-zustände sein kann.

ich meine liebe hier als eine große freudvolle zugewandtheit, hin zu meiner mitwelt. zum gesamten. als offenheit für das wunder in und um uns herum.

im rückbildungskurs nach meiner zweiten geburt habe ich etwas derartiges zum ersten mal mit mir völlig unbekannten menschen erlebt: wir waren in zweigruppen angehalten uns liebevolle massagen zu geben. und ich wurde geflutet von einer überwältigenden freude und ja, liebe für all die frischgebackenen mütter um mich herum (dieses erlebnis hat tatsächlich über einige umwege dahin geführt, was ich heute als meinen beruf begreife).

und schon früher gab es ein solches erleben auf einer abstrakteren ebene: als ich als junger mensch in wäldern und auf bergen zu fuß unterwegs war. und mein innerstes mit einer wucht von der kaum zu fassenden schönheit und intelligenz dieser natur und ihrer kreisläufe erfasst wurde. für mich ist beides eine form von liebe, in ihrer puren form.

und ich habe gelernt, dass ich in der lage bin, in der arbeit die ich mache, einen kanal zu öffnen, durch welchen diese pure liebe fließen kann. hin zu dem menschen, mit dem ich in einer session bin. und ich bin NICHT die quelle. ich mache nur den raum auf.

und, um den kreis wieder zu schließen, was geschehen kann, ist, dass mein gegenüber in die selbstliebe kommt. und diese beiden aspekte, um die geht es mir: berührt-sein-können, und in selbstliebe sein.

weil ich überzeugt bin, dass das fehlen dieser zustände ein grund dafür ist, warum wir so tun, wie wir tun.
mit uns und unserer mitwelt.
weil ich überzeugt bin, dass sexarbeit ein weg sein kann, um menschen zu sich zurück finden zu lassen. berührt, und in liebe.

sunja ✨